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Kommerzieller Weltraumtransport – Utopie oder realistische Zukunftsvision?
Lars Jaeger © Gsell Photography
 
Kommerzieller Weltraumtransport – Utopie oder realistische Zukunftsvision?
Essay von Lars Jaeger

Auf dem Weg zu neuen Weltraumorten und der Nutzung dortiger kommerzieller Möglichkeiten – Eine realistische Zukunftsvision oder eine Vision, die kaum je Realität werden kann?

In den letzten Monaten sorgten kommerzielle Anbieter für Flüge ins All für große Furore: Nach Jahrzehnten der Enttäuschung wegen des fehlenden Fortschritts haben es in den letzten Jahren diverse Gruppen aus dem Privatsektor geschafft, die Raumfahrt wieder in den Vordergrund zu bringen. Tatsächlich glauben heute viele Finanzanalysten, dass die kommerziellen Entwicklungen in der Raumfahrtindustrie kurz davorstehen, den größten Ressourcenabbau in der Geschichte zu starten, und zwar durch Bergbau auf dem Mond, dem Mars und Asteroiden. Ist das wirklich etwas, was uns schon in den nächsten Jahren bevorsteht (viel weiter geht der Horizont der Anleger selten)?

Tatsächlich haben verschiedenen Privatunternehmen wie beispielsweise die Privatfirma SpaceX des Tesla-Gründers Elon Musk endlich mal wieder (das erste Mal seit dem Ende der Space Shuttles) amerikanische Astronauten vom amerikanischen Boden – dem Kennedy Space Center – aus ins All gebracht, wenn auch nur für ein paar Minuten. Das Revolutionäre daran war: Die Astronauten waren zum Teil einfache Menschen, also nicht top-ausgebildete Astronauten. Etwas diskreter wird ein anderes großes private Raumfahrtunternehmen mit dem Namen Blue Origin vom Amazon-Gründer Jeff Bezos mit einer Milliarde Dollar pro Jahr gefördert (dieser kann sich dies ohne weiteres leisten, gilt er doch als reichster Mensch der Welt). Auch diese Firma flog einfache Menschen kurz ins Weltall, darunter Jeff Bezos selbst. Und auch ein drittes Unternehmen, gegründet von einem weiteren Milliardär, Richard Branson, vermochte Touristen – darunter ebenfalls Richard Branson selbst – auf kurze suborbitale Flüge zu schicken: Virgin Galactic. Dieses ist im Übrigen das erste Raumfahrt-Unternehmen, das an der Börse gelistet ist und zwischen Februar und Juni 2021 mit Bewertungen um von ca. 13 Milliarden US Dollar All-Time Highs erreichte, bevor es dann innerhalb von weniger als einem Jahr auf nahezu einen Zehntel dieses Wertes absackte – und damit ein All Time Low der letzten Jahre erreichte. So manche Anleger fragen sich: Ist damit die Aufregung um die neuen privaten Weltraumfahrzeuge vielleicht schon wieder vorbei?

Die von Musk, Bezos und Branson erzeugte Aufregung um diese Flüge ist nur der spektakuläre und öffentlich vermarktete Teil der Nutzung ihrer Raketen. Tatsächlich fliegen alle paar Wochen private Raketen ins erdnahe All, um die Raumstation zu versorgen oder neue Satellitensysteme auszusetzen, da die Regierungen kaum mehr Raketen fliegen. Es gibt zur Zeit etwa 5’700 aktive Satelliten, die die Erde umkreisen, mehr als 10’000 haben bereits ausgedient und sind nun (nicht ganz ungefährlicher) Weltraumschrott, der um die Erde herumschwebt (ab und zu stürzt einer mal auf die Erde zurück). Da dies alles andere als spektakulär ist, wird darüber kaum öffentlich gesprochen. Doch genau damit verdienen die privaten Raketenbetriebe ihr Geld.

Dabei sind die von den drei Milliarden Firmen nur drei unter vielen Anbietern. Unternehmen wie die United Launch Alliance von Lockheed Martin und Boeing oder die europäische Ariane Space bieten ebenfalls ihre Dienste auf diesem Markt an. Zudem drängen neue Anbieter, die weltweit entstehen, immer neue Abschussbasen. Ein großer Teil der Satelliten, die von den Raketen ausgesetzt werden, sammelt im erdnahen Raum, wenige hundert bis eintausend Kilometer von ihr entfernt, Daten wie zum Beispiel für die Online-Karten, mit denen sich unsere Bewegungen auf dem Handy auf den Meter genau verfolgen lassen, Wetterbeobachtungen und -vorhersagen, für das Sammeln von Umweltdaten bis hin zur Spionage. Damit lässt sich insgesamt ein Umsatz von 400 Milliarden Dollar pro Jahr erzielen, der sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch einmal dramatisch nach oben entwickeln wird. So werden, wie es aussieht, mehrere tausend Mini-Satelliten so groß wie ein Kaffeemaschine mit immer spezielleren Fähigkeiten, wie zum Beispiel die Überwachung von Bauernfeldern bzgl. Dünger und Wasser, in die Erdumdrehung gesandt. Nur hat all dies recht wenig mit weiter entfernten Weltraumfahrten zu tun, die von Unternehmern wie Elon Musk so aufregend beschrieben werden.

Was ein weiteres Geschäft zu sein verspricht ist der Tourismus im erdnahen Bereich. Allein die Aussicht auf die Erde von außerhalb ist spektakulär. Aber kann man hier wirklich so viel erwarten? Der Preis für einen derartigen Trip wird voraussichtlich für viele Jahre und gar Jahrzehnte noch sehr hoch bleiben, da der Aufwand des Fluges, die Ernährung und die notwendigen Vorbereitungen der Touristen, sich im gravitationslosen Umfeld zu bewegen, auf absehbare Zeit extrem hoch bleiben werden. Noch immer kostet jedes Kilogramm, das die Erdanziehung überwinden muss, mehrere zehntausend Euro! Zudem sind Raketenstarts in den Weltraum bis heute keine Routineoperation, nicht zu vergleichen mit einem Flugzeugstart. Bei jedem Start bestehen immer noch signifikante Risiken.

Doch werden unterdessen die notwendigen finanziellen Mittel für die Raumfahrt immer mehr von privaten Händen in die privaten Weltraum-Unternehmen investiert. Standen im Jahr 2009 die finanziellen Mittel bei knapp einer Milliarde Dollar, so waren es zehn Jahre später bereits sechs Milliarden Dollar. Vor 40-60 Jahren waren die Staaten, insbesondere deren jeweiligen militärischen Komplexe, noch die einzigen Investoren in die Weltraumfahrt. Heute sprechen private Weltraumfans bereits von Projekten auf den Mond, um dort dauerhaft präsent zu sein und von dort aus weitere Flüge, zunächst zum erdnächstem Planeten Mars, dann aber auch vielleicht weiter, vorzubereiten (zum Mars braucht man schon viele Monate, selbst wenn er uns am nächsten ist, und noch mal so viele zurück; schaffen das Menschen überhaupt?).

Das Interessante am Mond, der schon vor über 50 Jahren von Menschen betreten wurde, sind Bodenschätze wie seltene Erden und Helium-3. Letztere ist ein Isotop des regulären Heliums, das als eine Grundlage für die mögliche Energiequelle der Zukunft – Kernfusion – interessant sein könnte. So haben bereits drei private Unternehmen von der NASA den Auftrag erhalten, ein Mondlandefahrzeug für Menschen zu entwickeln: SpaceX, Blue Origin und Dynetics (Teil der Firma Leidos, früher bekannt als Science Applications International Corporation). Ein weiteres naheliegendes Abbauziel seltener Stoffe sind Asteroiden, die durch das Sonnensystem rasen und unterschiedliche Mengen an seltenen Erdmetallen und anderen Materialien mit sich führen. Die meisten davon liegen allerdings zwischen Mars und Jupiter, also noch ein ganzes Stück weiter als Mars und daher für eine längere Zeit sicher unerreichbar für uns. Des Weiteren haben die meisten planetarischen Bergbauziele im Weltraum nur eine geringe oder gar keine Atmosphäre und sind daher extremen Temperaturschwankungen zwischen Schatten und Sonnenlicht ausgesetzt. Dies macht das Schaffen darauf gefährlich, sowohl durch die uneingeschränkte Sonnenstrahlung als auch durch kosmischen Strahlen, die die Elektronik bedroht – ganz zu schweigen von der menschlichen Gesundheit. Was Asteroide angeht, fliegen diese sehr schnell, so dass sie jeweils nur für kurze Perioden verfügbar sind.

Betrachtet man einmal die technologische Entwicklung in den letzten Jahren etwas genauer, so erkennt man, dass die Raumfahrtdesigner bei der Raketentechnik im Vergleich zur Technologie der 1960er und 1970er Jahren nur recht wenig vorankommen sind. Der große Durchbruch, um die aktuellen Kosten für einen kommerziellen Start massiv zu senken, ist kaum in Sicht. Sind wir in der heutigen Wirtschaft gewohnt, dass alles billiger wird, wenn es zum vielverwendeten Standardprodukt wird, so dominiert die Kosten der Raumfahrt eine Größe, die sich auch in der Zukunft nicht verändern wird: die Schwerkraft der Erde. Diese kennt keine Rabatte, die mit der Zeit einsetzen. Der 1000. Flug ins All braucht genauso viel Energie wie der erste. So benötigt es eine revolutionär neuer Technologie, um ausreichend preiswert in und durch das All zu kommen, so dass die Expansion der Raumfahrtechnologie attraktiv wird. Doch eine solche hat es in der Raumfahrt in ihren bisherigen 60 Jahren noch nie gegeben. Daher hat sich die Raumfahrt-Technologie hin zu niedrigeren Kosten bis heute nur äußerst langsam entwickelt.

Könnte am Ende der „New Space“-Projekte von Milliardären wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson zuletzt weit mehr mit der Umgebung der Erde zu tun haben als uns der Name verheißt? Noch 2016 sagte Elon Musk mit Optimismus für das Leben auf einem anderen Planenten und Pessimismus für das Leben auf der Erde:

„Es gibt zwei grundlegende Wege. Der eine Weg ist: Wir bleiben für immer auf der Erde, und dann wird es irgendwann ein Aussterbeereignis geben. (…) Die Alternative ist, eine raumfahrende Zivilisation und eine multiplanetare Spezies zu werden. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu – das ist der richtige Weg.“

Dies erinnert irgendwie stark an Illusionen, die es bereits im 19. Jahrhunderts gab. So beschrieb Jules Verne in seinem Roman von 1865 „Von der Erde zum Mond“ ein Raumschiff, in dem zwei Amerikaner, ein Franzosen (alles nur Männer), zwei Hunde und diverse Hühner ins All gelangen. Und schon im frühen 17. Jahrhundert sprach Johannes Kepler von einer Mondreise, um für die wissenschaftliche Wahrheit der kopernikanischen Welt zu werben: Der Vater der Astrophysik beschrieb 1608 in seiner Erzählung „Somnium“, wie sich die Erde vom Mond aus zeigen müsste. Doch schon Kepler war bereits klar, dass es zur Überwindung der irdischen Gravitation einer gewaltigen Kraft bedarf.

Heute haben menschengemachte Raumsonden (ohne Passagiere) jeden Planeten unseres Sonnensystems umflogen, um unser Wissen über das Universum zu vermehren. Zugleich sind ihre erdnahen Geschwister in unserem Alltag längst unverzichtbar geworden. Ein Leben ohne den Segen der Satellitentechnologie können wir uns nicht mehr vorstellen. Doch ist damit automatisch das Erreichen ferner Planenten einfacher geworden? Es gibt einen Grund, warum ein gängiger Witz in der Weltraum-Branche ist, dass man in der Raumfahrt am besten als Milliardär beginnt, um Millionär zu werden. Doch bei all den Herausforderungen muss man sich heute fragen: Kommt der Weltraumbergbau – zusammen mit der damit verbundenen Erforschung und Industrialisierung – bei allen Herausforderungen nicht doch schon vielleicht bald? Dafür bräuchten wir einen massiven technologischen Sprung. Dass sich ein solcher ergeben kann, zeigt uns in so vielen Bereichen die Vergangenheit.

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Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Im Herbst 2021 erschien sein neuestes Buch «Wege aus der Klimakatastrophe» im Springer Verlag.
 
Eintrag vom: 15.06.2022  




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