Umbrüche, Veränderungen, Neuanfänge – die entscheidenden Momente im Leben einer Figur, der Zusammenbruch eines bewährten oder bereits überholten Lebensentwurfs, die Sekunde, in der es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, in der man sich fragt: Ist das jetzt das Ende – oder der perfekte Augenblick für einen Neustart? Dass Filmemacher ihre Filmfiguren häufig solchen Grenzerfahrungen aussetzen, ist kein Zufall. Denn in diesen Momenten lernt man eine Figur oft besser kennen, als wenn man ihr stundenlang durch ihren Alltag folgt.
Der bedeutendste Umbruch im deutschen Kino der jüngeren Zeit hat Mitte der 90er Jahre stattgefunden, als die harmlosen bis albernen Beziehungskomödien („Der bewegte Mann“), den Werken einer neuen Generation an Autorenfilmern weichen mussten, die tatsächlich etwas zu erzählen hatten. Eine Generation von engagierten Filmemachern wie Tom Tykwer oder Andreas Dresen trat an, das hiesige Filmschaffen aus der Mittelmäßigkeit zu befreien. Und wieder persönliche und unkonventionelle Geschichten zu erzählen, die ab und zu sogar politisch engagiert oder experimentell sein durften, wie beispielsweise die minimalistischen und pessimistischen Werke der Berliner Schule um den Filmemacher Christian Petzold.
Während der aka Filmclub in einer Art Langzeitstudie über den deutschsprachigen Film einen großen Teil dieser Filme und Regisseure bereits präsentiert hat, wollen nun auch wir einen kleinen Umbruch wagen und widmen uns einer jungen, teils noch unbekannten Regisseursgeneration. Das Leitmotiv der Filme bilden –natürlich- Umbrüche, Veränderungen und Neuanfänge.
„3 Zimmer/ Küche/Bad“ von Dietrich Brüggemann (*1976) portraitiert augenzwinkernd die häufigen, kurzfristigen Umbrüche und das unstete Leben der heutigen Endzwanzigergeneration. Brüggemann positionierte sich zur Berlinale 2013 kritisch gegenüber dem deutschen Intellektuellenkino, warf ihm vor, prätentiös, verschwurbelt und unemotional zu sein – mit „3 Zimmer/ Küche/Bad“ beweist er gleichzeitig, dass es möglich ist: Anspruchsvolles Kino mit Unterhaltungswert.
„Über uns das All“ von Jan Schomburg (*1976) schlägt einen etwas anderen Weg ein: Dessen Geschichte bewegt sich transzendent zwischen Realität und Vorstellungskraft einer jungen Frau, die durch den plötzlichen Tod ihres Verlobten aus der Bahn geworfen wird und mit diesem Einschnitt auf ganz eigene Weise umgeht.
„Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid sorgte im Wettbewerb der Berlinale 2012 schon für Aufsehen. In dem hervorragend beobachteten und gespielten Ensemblestück hat eine winzige Veränderung große Auswirkung auf das Innenleben einer scheinbar intakten Familie. An einem einzigen Wochenende werden jahrelang unterdrückte Konflikte manifest und ein familiärer Mikrokosmos steht vor einer völligen Neuordnung. Ein Film für Studenten, für Eltern, für Beobachter – für die ganze Familie, und dennoch alles andere als ein Familienfilm.
In diesem Sinne: Der aka wagt den Aufbruch, vielleicht sehen wir mit diesen Filmen ja wirklich eine neue Filmemachergeneration!
Die Vorführungen finden immer um 20 Uhr im HS 2006 des Kollegiengebäudes II (Platz der alten Synagoge) statt.
Weitere Informationen auch unter www.aka-Filmclub.de.
Terminübersicht:
Dienstag, 23. April 2013: Was bleibt
Dienstag, 30. April 2013: 3 Zimmer/Küche/Bad
Dienstag, 07. Mai 2013: Über uns das All
Synopsen
Dienstag, 23. April 2013: Was bleibt
Regie: Hans-Christian Schmid Buch: Bernd Lange Kamera: Bogumil Godfrejow Musik: The Notwist Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Ernst Stötzner, Sebastian Zimmler, Picco von Groote Produktion: D, 2012 Länge: 84 min. Fassung: 35 mm, Dt. OV
Der junge Schriftsteller Marco besucht seine Familie im Rheinland, die Eltern sind Alt-68er, die es mittlerweile zu Wohlstand gebracht haben. Als Mutter Gitte eröffnet, eigenmächtig die Antidepressiva abgesetzt zu haben ist das ein Auslöser und nach und nach werden langjährige Familienkonflikte manifest. Scharf beobachtetes Drama für die ganze Familie – aber kein „Familienfilm“.
Dienstag, 30. April 2013: 3 Zimmer/Küche/Bad
Regie: Dietrich Brüggemann Buch: Anna & Dietrich Brüggemann Kamera: Alexander Sass Darsteller: Jacob Matschenz, Anna Brüggemann, Robert Gwisdek, Alice Dwyer, Corinna Harfouch, Alexander Khuon, Herbert Knaup, Aylin Tezel, Katharina Spiering, Amelie Kiefer u.a. Produktion: D, 2012 Länge: 111 min. Fassung: 35 mm, Dt. OV
8 Freunde, 4 Jahreszeiten, 11 Umzüge und noch mehr Querverbindungen. Die lakonische Komödie portraitiert mit einiger Melancholie und skurrilem Witz die Endzwanzigergeneration treffend anhand ihrer Wohnungswechsel. Früher gab es Rituale wie Hochzeiten, Todesfälle, Familienfeste und Verfolgungsjagden auf der Leinwand zu sehen, das neue, junge Ritual jedoch heißt: Umzug!
Dienstag, 07. Mai 2013: Über uns das All
Regie&Buch: Jan Schomburg Kamera: Marc Comes Darsteller: Sandra Hüller, Georg Friedrich, Stephan Grossmann, Felix Knopp Produktion: D, 2011 Länge: 88 min. Fassung: 35 mm, Dt. OV
Marthas heiles Leben wird über den Haufen geworfen: Ihr Freund Paul begeht kurz vor dem gemeinsam Umzug ins Ausland Selbstmord. Als dann plötzlich Alex auftaucht, vermischen sich –nicht nur für den Zuschauer- Realität und Fiktion. Hochinnovativer Film mit großartigem, ungekünsteltem Drehbuch. Geheimtipp der Berlinale 2012. |